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Die Rückeroberung der Strasse
REGION ⋅ Perfektes Velo- und Skaterwetter herrschte am Sonntag. So verwunderte es nicht, dass auch am 16. Slow-up Bodensee Tausende sich daranmachten, die Freuden des Langsamverkehrs für sich zu entdecken.
Die Dame mit den Haferflocken hat Erfahrung – und macht dies auch gleich deutlich. «Dieses Mal verteile ich nicht so schnell und auch nicht gleich mehrere Packungen an jeden», hat sie sich fest vorgenommen. «Die letzten beiden Male war ich schon um halb zwei ausgeschossen; das sollte mir dieses Mal nicht mehr passieren.» Wer schleppt aber schon die ganze Strecke einen, wenn auch kleinen Beutel Birchermüesli in Trockenform mit sich? «Man kann die auch prima so zu sich nehmen; inhaltlich ist das gleich nahrhaft wie ein Müesliregel, nur halt flockig», wirbt die Frau vom Fach für ihr Naturprodukt – und reicht gleich ein paar Packungen an ausgestreckte Hände weiter.
Ganz gemütlich den Freiraum nutzen
Es herrscht am Sonntagvormittag ein stetes Kommen und Gehen am Romanshorner Hafen. Eine Art kreatives Chaos, wie es Radsportbegeisterte sonst nur vom Start- oder Zielort einer Tour-de-Suisse-Etappe kennen. Da wird das ganze Programm durchprobiert, bevor man selbst in die Pedale tritt. Heisst: zuerst das Glücksrad drehen, dann bei der Lungenliga die Lungen testen (lacht der Clown?) und final sich vom Milchverband in einer überdimensionierten Kunststoffkugel als Schwungmasse fürs «menschliche Kegeln» (miss-)brauchen lassen. Viele Kinder sind von dieser Vielzahl an Angeboten wie hin und weggerissen. Bruno aus Amriswil hat jedoch weder das eine noch das andere im Sinn. «Ich will einfach einmal ganz gemütlich auf all den Strassen fahren, die ich ansonsten das ganze Jahr hindurch nicht so benutzen darf, wie ich es heute tue», fasst der Durchtrainierte sein persönliches Tagesziel in Worte, nimmt noch einen tiefen Schluck aus dem Bidon, grüsst nickend zur Seite und schliesst sich radelnd einem Pulk an, der sich zeitgleich auf den Weg macht. Auf einen Weg, der für viele die eine oder andere Überraschungen bereit hält. Wie beispielsweise der Stand einiger Ostschweizer Bierfreunde, die vor dem Bahnhof Egnach selbstgebrautes Craftbier ausschenken – und zwar in unmittelbarer Reichweite der vorbeihuschenden Slow-up-Enthusiasten. Kein Wunder, halten einige Männer schon nach nicht allzu vielen Radumdrehungen ziemlich bereitwillig an besagter Stelle. «Ich habe immerhin schon 1,5 Kilometer hinter mir», erklärt ein Herr mit vielsagendem Blick und leicht entschuldigendem Unterton in der Stimme, nur um gleich danach kräftig «Bitte ein Kölsch!» zu verlangen. Erschöpfung klingt anders. Total anders. Der Ton verrät Vorfreude pur.
«Mit mehr als 0,5 Promille fährt niemand weiter»
Ein Schelm, wer denken könnte, dass beim einen oder anderen Slow-up-Fahrer bis zum Ende des Tages nur noch weitere 1,5 Kilometer hinzukommen könnten; nämlich jene, auf dem Nachhauseweg am Abend. Doch selbst das ist nicht einmal sicher, denn «mit mehr als 0,5 Promille darf hier niemand weiterfahren», erklärt einer der Brauer namens Reto vielsagend. Aber an diesem Sonntag ist Eile für einmal nicht angesagt; schliesslich heisst der Event ja Slow-up.